Mitternachtsgedicht

POST VOM ARZT, N° 1/2018


(c) Lisa Sperrer
(c) Lisa Sperrer

Neuerdings verlasse ich unvermittelt das Bett, gehe zu den ungewöhnlichsten Uhrzeiten im Kreis durchs Wohnzimmer, wackle dabei stetig mit den Hüften, hopse mitunter auf einem Bein, ziehe die unmöglichsten Grimassen, schlage schlimmste schunkelnde Töne an und denke mir völlig unsinnige Lieder und Reime aus. Eins der Gedichte geht so: Als die Soldaten keine Lust mehr hatten, gingen sie heim und aßen Frittaten. Da zürnte der König, weil die Soldaten kein Schießgewehr hatten und schrie: Zu den Waffen, ihr kriegsfaulen Affen. Doch die Soldaten, gestärkt mit Frittaten, traten ohne Waffen hinaus auf die Straßen, wo sie marschierten und demonstrierten: Schluss mit den Kriegen, der Frieden wird siegen! Der König am Thron wurde lauter im Ton, was niemanden störte, weil's ja keiner hörte; da sprang er vom Thron und schrie vom Balkon: Ich kürz euch den Lohn! Da sah er die Straßen und drinnen die Massen: Die Großen, die Schlanken, die Gesunden, die Kranken, die Breiten, die Kleinen, die mit weniger Beinen, die Biegsamen, Sturen, die mit prallen Konturen, die Farbigen, Bleichen, die Armen, die Reichen, die Kinder ganz vorn. Der König im Zorn wurde rot: Sapperlot! Ich schieße euch tot. Doch das Volk war gescheiter. Es holte die Leiter und trug, weiter und weiter, den Topf mit Frittaten, bis hoch zum Balkon. Jetzt essen Sie schon, lieber König am Thron. Auch Sie werden sehn, es wird bald vergehn, der Zorn und die Wut und alles ist gut... Spätestens an dieser Stelle ist meine Tochter im Arm dann eingeschlafen. Das erleichtert mich, denn ich wüsste nicht, ob der König durch die Frittaten wirklich aufhört, Kriege zu führen.

 

(Wien, 25. April 2018)


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