Mein Standpunkt

POST VOM ARZT, N° 4/2017


Blick auf weite Felder, Kanada, Alberta, 18.06.17
Blick auf weite Felder, Kanada, Alberta, 18.06.17

Die Relationen verschieben sich. Ein Sommer schafft Distanz. Eine Reise bringt neue Aussichten. Ein Anruf manchmal unerwartete Optionen. Was am Abend davor noch undenkbar war, lässt der Morgen zumindest als Möglichkeit gelten. Was im Moment der Niederlage unüberwindbar und endgültig erschien, dem verleiht die Zeit die Gewissheit, auch mal scheitern zu dürfen, auch wenn es weh tat, das Scheitern. Und so verschieben sie sich weiter, die Relationen. Hatte vor fünf Jahren noch kaum jemand an einen Nuklearschlag denken wollen, oder an Atomkrieg, so hält man es heute für erschreckend erwartbar. Wurden vor drei Jahren noch bestimmte Machthaber isoliert, ja moralisch verabscheut, beschließt man heute gemeinsame Abkommen, über jegliche moralische Verwerflichkeit hinweg, denn es gelte, relativ betrachtet, der Grundsatz des geringeren Übels. Was ein Übel ist und welches schlimmer sei, darüber entscheidet freilich wieder der Blickwinkel, die Relation. Was hierzulande Sicherheitsbedürfnis genannt wird, kann andernorts Blindheit heißen, auch Ignoranz. Was auf diesem Kontinent als gerechtfertigte Frage kontrollierbarer Einwanderung erscheint, zerschneidet auf einem anderen ganze Landstriche. Vor einem Jahr noch verachteten wir einen amerikanischen Präsidenten, der eine Mauer bauen wollte, und heute beginnt ein Mauerbau in Afrika, von uns mitfinanziert, zum Schutze Europas. Und sie verschieben sich weiter, die Relationen. Denn das ist wohl die Welt: eine permanente Neuinterpretation der Wirklichkeit. Wichtig wäre, in dieser Wirklichkeit nicht aufzuhören, seinen eigenen Standpunkt immer auch zu überprüfen. Besonders im Umfeld von Wahlen.

 

(Wien, 6. September 2017)


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