Wir hatten gestritten. Es kam plötzlich. Dann flossen Tränen. Es ging ums Zähneputzen. Ums scheinbar Banale, an dem sich in diesem Alter alles an Eigenständigkeit, Widerwillen, Freiheitsdrang festmacht. Sie schubste mich, ich sagte Stopp. Meine Tochter stampfte, es tat ihr selbst an der Ferse weh. Das Rumpelstilzchen, dieses viel beschworene Märchenwesen, das aus Zorn platzen konnte, kroch aus all ihren kindlichen Poren hervor, sie wurde rot, verschluckte sich, würgte, das volle Programm. Ich versuchte es mit Understatement, Coolness, Nüchternheit. Auch eine Erpressung rutschte mir (wieder einmal) heraus: «So wird das nichts, mit der Gute-Nacht-Geschichte.» Sie brüllte und wusste, sie rannte (wieder einmal) gegen Wände. Nimm dir Zeit, dachte ich bei mir. Nimm dir Platz, lass die Wut heraus. Dann sagte ich: «Da. Ein Taschentuch. Wenn du nicht mehr wütend bist, reden wir weiter.» Später, im Bett, lag sie noch mit der Erinnerung an den Streit neben mir. Starrte mit glasigen Augen vor sich hin. «Wie vergeht die Traurigkeit?», fragte ich. Sie schwieg. «Durch eine Entschuldigung?» Sie schwieg. «Durch Kuscheln?» Ich versuchte sie in den Arm zu nehmen, sie drückte mich weg. «Durch was Schönes?» Wieder nur der Blick meiner Tochter, der Überforderung ausdrückte, im Zusammenprall von Emotionen, mit denen sie klarzukommen versuchte. Plötzlich aber die Wende, ein klarer Gedanke, sie öffnete den Mund: «Die Tränen, Papa, die sind wie Wasser.» Ich schaute verdutzt, nickte. «Und so wachsen die Blumen,» fuhr sie fort. «Und die sind schön.» Ich war verzaubert, von diesem Bild einer aus Trauertränen erwachsenden Schönheit, die Schmerz vergessen macht. Wir lachten. Dann drehte sie sich abrupt zu mir, wir lagen Stirn an Stirn. Blickten uns in versöhnte Augen. Ein seltsamer Anflug von Erwachsenheit, dachte ich, in diesem Kind. Wieder hatte sie mir mehr gelernt, als sonst wer jemals davor. Dann erzählte ich ihr eine Geschichte.
(Wien, 9. September 2021)