Anmerkung zu Theater und Gefängnis

Abgedruckt in: ICH UND MEINE SUMME. Begleitheft zu einer Performance von «Salon Hybrid» im ehemaligen Jugendgerichtshof Rüdengasse, Wien, Juli 2014


Gefängnisfotografie des Verbrechers Johann Breitwieser, Nationalbibliothek Wien
Gefängnisfotografie des Verbrechers Johann Breitwieser, Nationalbibliothek Wien

Das Gefängnis ist kein Theater. Das Theater ist kein Gefängnis. Beide aber, das Gefängnis wie das Theater, kennen das Konzept der Katharsis. Der Reinigung. Das griechische Wort geht zurück auf die Tätigkeit des Waschens. Der Mensch wäscht Schmutz von sich, im eigentlichen wie im übertragenen Sinn. Der Ritus des Waschens kann dabei befreiend sein. Erlösend. Aber auch schmerzhaft. Katharsis ist Erleichterung und Tortur zugleich. Ein Akt der Sühne, in religiöser Deutung. Eine Schule des Leidens, in den Theorien des bürgerlichen Theaters. Oder, um aufs Gefängnis zurückzukommen, eine staatshygienische Rechtfertigung. Sich zu reinigen und sich zu rechtfertigen heißt auf lateinisch purgare. Man nennt demnach die Reinwaschung von Schuld ein Purgatorium. Oder: Das Fegefeuer.

 

Das Gefängnis ist das Purgatorium des Staates. Eine rechtmäßige Zwangsreinigungsapparatur. Das kriminelle Subjekt muss bestraft werden. Die Strafe soll den Menschen bessern. Läutern. Züchtigen. Und vor allem: Erinnern. Reinigung durch Erinnerung. Davon spricht zu aller erst die Psychoanalyse. Wer leidet, trägt schwer auf der Seele. Im Erinnern des Leidens durchlebt der Mensch seine verdrängte Qual. Erst wenn diese Erinnerung ausgesprochen wird, befreit sich der gequälte Mensch vom Schmerz. Der kathartische Moment ist also, im glücklichsten Fall, ein Augenblick der Sprache. Reinigung durch Sprechen. Ansprechen von Wut und Ohnmacht. Artikulieren der Angst.

 

Während das Theater aber der Ort sein kann, wo Furcht und SchreckenSchauder und Jammer oder Ekel und Entsetzen das Wort ergreifen, ist das Gefängnis der Ort des Schweigens. Die Reinigung des kriminellen Subjekts passiert meist wortlos. Demütigung, Kränkung und Peinigung führen zu Rückzug und Einsamkeit. Die Katharsis im Gefängnis ist eine unsichtbare. Nicht die offene Bühne wird gesucht, sondern der letzte Winkel. Das Dahinvegetieren in der Zelle. Das heimliche Absterben von Körperteil und Seele in der Verschlossenheit. Während das Konzept der Katharsis also am Theater zu Einfühlung, Ablehnung und Stellungnahme auffordert, zwingt es im Gefängnis zum Verstummen. Das Wort von der Besserungsanstalt bleibt historischer Zynismus. Und kommt es tatsächlich einmal zu einer Besserung, wartet in der Freiheit kein Publikum. Kein Applaus. Keine Öffentlichkeit. Der Vorhang fällt im Gefängnis ungesehen.


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